Mit dem Grenzuebertritt nach Indien hat sich unser Traum erfuellt und es stellte sich eine tiefe Zufriedenheit in uns ein. Das mag mit der Grund sein, weshalb wir solange nichts mehr von uns hoeren liessen. Aber auch die Distanz (mittlerweilen mehr als 13'000 Kilometer!) war ein Faktor fuer die lange Schreibabsenz. Schliesslich ist es wohl auch die Atmosphaere Indiens, die einem schreibfaul werden laesst. Alles, wirklich alles laeuft in diesem Land in einem langsameren Tempo!
Aber erst mal der Reihe nach: Amritsar.
Amritsar ist die Hauptstadt im indischen Punjab und 'Mekka' der Sikhs. Der Sikhismus ist eine Religion, die sich aus dem Hinduismus und dem Islam destilliert hat. In Amritsar steht in einem kuenstlichen See ihr Goldener Tempel, der sowohl das Grab des Gruenders als auch ihr heiliges Buch birgt. Waehrend 24 Stunden rezitieren die Sikh-Priester aus diesem Buch, waehrend 10'000nde Pilger den Tempel besuchen und ein heiliges Bad im See nehmen. Alle Pilger (so auch wir) logieren nach Sikh-Tradition gratis in den umliegenden Gasthaeusern. Gegessen wird gemeinsam am Boden, alles gratis, dafuer hilft man danach beim Abwasch, beim Ruesten des Gemuese oder beim Zubereiten der Fladenbrote (Chapati). Wir verbrachten vier Tage an diesem magischen Ort und waren tief beeindruckt von den gastfreundlichen Sikhs. Ob alt oder jung, alle rollten sie ihre Schlafmatten nach Sonnenuntergang im Freien aus und verbrachten die (noch sehr kalte) Nacht vor dem Tempel. Sikhs rauchen und trinken nicht, leben ein einfaches und von Moral gefuehrtes Leben und tragen fuenf "Kakars" (auch fuenf Ks genannt: Kes (Haare duerfen nicht geschnitten werden und muessen immer verdeckt bleiben, deshalb der typische Sikh-Turban), Kangha (ein Holzkamm zur Pflege der langen Haare), Kirpan (ein kleiner Dolch als Symbol fuer Gerechtigkeit und Verteidigung), Karra (ein Armreif, der die Sikhs symbolisch an ihr heiliges Buch binden soll) und Kachera (weisse Unterhose, die Sauberkeit und Maessigung symbolisieren). Die Sikhs sind bekannt fuer ihre physische Staerke und dementsprechend von grosser Statur. Es verwundert deshalb nicht, dass sie die Elite der indischen Armee bilden.
Aber nicht nur die Sikhs bleiben uns in Amritsar in Erinnerung, sondern auch die exquisite vegetarische Kueches des Panjabs. Ein 'Dal Makhani' ist wohl DAS Panjabi Gericht schlechthin. Aus Linsen, Erbsen und Bohnen ueber Stunden zubereitet, mit Kuemmel, Koriander, Chilis und Ingwer gewuerzt, fuellt Dal kostenguenstig (ca. 10 Rupee / 30 Rappen) alle Maegen (inkl. der vier Maegen der heiligen und omnipraesenten Kuehen). 'Sarson da Saag' ist ein weiteres kulinarisches Highlight aus Spinat und Senfschoten (hmmm). 'Malai' wird die oberste Schicht von unpasteurisierte Milch genannt, die ueber eine Stunde erhitzt wurde. Daraus werden dann 'Koftas' oder Kugeln geformt, die mit Curries und anderen Gewuerzmischungen verfeinert werden. Dazu gibt es verschiedene Arten von Reis (Byriani, Pulao, Safran etc) und unsere geliebten Fladenbrote: 'Nan' (Hefefladenbrot, das im Tandoor-Ofen an die Innenseite geklatscht wird) und nach Wunsch mit Butter oder Knoblauch bestrichen wird, 'Chapati/Roti' (aus Gerste, Hirse, Weizen und ausgelassener Butter), 'Puri' (fritierte Version der Chapatis) und 'Papad/Papadam' (hauchduenne Linsenfladen zum Brechen und mit Gewuerzen gemischt). Haben wir die Nachspeisen schon erwaehnt?! Wie waers mit Khir (Milchreispudding mit Honig), Gulab Jamun (kugeliges Gebaeck im Sirup) oder Rasgulla (suesse Sirup-Bombe)? Hannes Favorit sind Lassis, ein Jogurtgetraenk, das kuehl und je nach Region mit Mangos, Orangen, Jackfruit, Papaya, Granataepfel oder Bananen vermischt wird. Natuerlich gibts saemtliche Fruechte auch als Fruchtsaefte, inkl. den geliebten Zuckerrohr-Drinks und frischen Kokosnuessen. Wer mit den Indern isst (also nicht in teuren Restaurants) bezahlt fuer Speis und Trank nie mehr als 100 Rupien, ca. 3 Franken. Auf der Strasse gibts das Ganze fuer einen Franken, praktisch serviert auf getrockneten Bananenblaettern. Wer will, kann nach einem Loeffel fragen, der Rest isst mit der rechten Hand (fuer was wir die linke Hand brauchen, will niemand wissen!). Danach bringt einem der Kellner Wasser zum Haendewaschen und Kuemmel als Munderfrischung!
Mit gestaerktem Magen machten wir uns also auf den Weg in den Sueden und da man bekanntlich nach dem Essen keinen Sport betreiben soll, fuhren wir zum Bahnhof und buchten fuer uns und unsere Maschinen Tickets in den Sueden. Das indische Bahnnetz ist etwa das, was das Taschenmesser fuer uns ist: eine geniale Erfindung. 16 Millionen Inder benutzen die Bahn taeglich, sie beschaeftigt 1.4 Millionen Mitarbeiter und das Ganze funktioniert! Fuer laengere Strecken (und in Indien sind das fast alle) gibt es 3 grosse Klassen: Klimatisierte 8er oder 6er Bettabteile, nichtklimatisierte 8er Abteile und die Holzklasse.
Fuer Touristen gibts Quotentickets, so dass man auch kurzfristig buchen kann. Aber wie bringt man ein Motorrad in den Zug? Es ist gar nicht so schwierig wie man am Anfang denkt. Die Inder schleppen regelmaessig ihr ganzes Hab und Gut im Zug mit, auch Geissen und Huehner! Was im Abteil keinen Platz findet, wandert in den Gepaeckswagen. Leider lieben die Bahnmitarbeiter Formulare und Listen und so muss, wer ein Motorrad auf Reisen schicken will, 3 Formulare ueber Wert, Gewicht, Versicherung und Passagier ausfuellen und anschliessend eine Liste der wichtigsten Teile am Motorrad erstellen. Danach erklaert man, dass das Motorrad nur Schrott ist, keinen materiellen Wert besitzt und dass man niemals die indische Bahn fuer Schaeden in Verantwortung zieht. Anschliessend laesst man das Bezin aus dem Tank und verhoekert es zu einem Spottpreis an die Bahnangestellten und sucht sich einen Schneider, der das Motorrad in Jute einnaeht. Zum Schluss zahlt man die Transportgebuehr und Baksheesh (Geld fuer die 'nette' Bedienung) an saemtliche Beteiligten und betet zu Gott, dass das Gefaehrt die holprige Fahrt schadlos ueberlebt.
Eine Reise per Zug gehoert in jeden Indienurlaub. Die Geselligkeit kennt keine Grenzen und innert einer Stunde wissen saemtliche Passagiere Lebenslauf, Beruf und Mission der Bleichgesichter. Untereinander bietet man sich mitgebrachte Speisen an und waehrend der ganzen Fahrt laufen fliegende Haendler durch die Wagons und offenbaren mit voller Kehle ihr Angebot: Garam Chai (heisser Tee), Kofi (Nestle Cafe), getrocknete Linsen und Bohnen mit Gewuerzen, Fruechte, Taschentuecher, Cold Drinks, Samosas, Pakora, Socken, Armbaender, Kissen, Popcorn, Dal und Reis. Dazwischen bieten Schuhputzer, Musiker und Bodenwischer ihre Dienste an. Alle Abteile und Zugtueren sind offen, wer will, kann sich also auf den Zugseingang setzen und den Fahrtwind und die spektakulaere Landschaft geniessen. Aber aufgepasst! Wer sich zu fest aus dem Zug lehnt, dem drohen unangenehme Ueberraschungen. Abfallentsorgung a la Indienne bedeutet, dass alles Unbrauchbare aus dem Zug und dem Neugierigen ins Gesicht fliegt. Zudem kaut jeder zweite Inder Betelnuss mit Tabak, doch leider regt dies dermassen die Speichelproduktion an, dass man alle zwei Minuten aus dem Fenster spucken muss. Die Betten sind bequem, mit Schaumstoff und Plastik ueberzogen. Decken muss man selber mitbringen, doch fuer 12 Franken pro 1000 Schienen-Kilometer darf man nicht reklamieren. Und das Beste: der Zug kommt fast immer puenktlich an!
So kamen wir nach 12 Stunden ausgeruht in Rajasthan an und stellten mit Freude fest, dass unsere Motorraeder die Reise unbeschadet ueberstanden hatten. Gesattelt und frisch getankt fuhren wir zur ersten Sehenswuerdigkeit, dem Mata Karni Tempel. Mata Karni ist bekannt fuer seine Ratten, die hier wie Goetter verehrt und gefuettert werden, da sie der Legende nach im naechsten Leben als Heilige wiedergeboren werden. Wie in jedem indischen Tempel, zieht man sich am Eingang die Schuhe aus und wandert durch die Tempelanlage. Ueberall laufen die Ratten frei herum, essen Mais und trinken Milch. Die Ratten zeigen keine Scheu und flitzen einem manchmal ueber die nackten Fuesse. Doch irgendwie verlieren sie in dieser Umgebung ihre Haesslichkeit und sogar der Unglaeubige beschleicht das Gefuehl, dass diese Kreaturen vielleicht mehr als nur Ungeziefer sind. Der Legende nach gibt es eine weisse Ratte im Tempel und es wird angenommen, dass man bei deren Anblick mit Glueck gesegnet wird. Leider bekamen wir sie bei unserem Besuch nicht zu sehen.
Vom Mata Karni Tempel fuhren wir suedwestlich in die Thar-Wueste Richtung Jaisalmer. Die Fahrt war anspruchsvoll, da der Wind die Strassen oft mit Sand begrub und wir regelmaessig stecken blieben. Dafuer belohnten wir uns mit einer Siesta auf den Duehnen! Jaisalmer erhebt sich von weitem aus der Wueste und ist von einem riesigen Fort umgeben. Frueher war die Stadt ein wichtiger Handels- und Kontrollpunkt fuer die Kamelkaravanen, heute ist sie wegen ihrer Naehe zur pakistanischen Grenze (ca. 30 Kilometer, wir waren Mitte Januar genau auf der anderen Seite in Pakistan) v.a. fuers Militaer wichtig. Jaisalmer boomt aber auch wegen des Tourismus und die Innenstadt im Fort wimmelt von Unterkuenften. Wir fanden in den engen Gassen ein wunderschoenes Hotel, das in die Aussenmauer gebaut wurde und hatten von unserem Balkon eine perfekte Sicht auf die Wueste und Haeuser weiter unten.
left: Taking a rest on the dunes near Jaiselmer
right: Getting stuck in the dunes is very common and easy. Pulling it out again is very exhausting
Left: We finally arrived in the warmer region
Right: Enjoying the evening in the Fort of Jaiselmer with a good book
Grund fuer den Besuch Jaisalmers war aber unsere 2taegige Kamelsafari. Frueh morgens fuhren wir mit dem Jeep in die Wueste und machten Halt in einem kleinen Wuestendorf. Dort warteten dann schon Ali Baba (Hannes Superkamel) und Raju (Darios stoerrischer Kamelesel). Zwei Tage verbrachten wir so hoch zu Kamel bei schoenstem Wetter in den Duenen der Thar-Wueste. Die kalte Nacht verbrachten wir mit Lagerfeuer im Nomadenzelt. Das Essen war einfach und gut. Am Schluss der Tour hatten wie Biker aber einen wunden Arsch (nichts geht ueber die grandiose Federung einer 1zylindrigen Yamaha!) und einen roten Kopf.
Von Jaisalmer fuhren wir Richtung Osten nach Jodphur und von dort ueber kleine Landstrassen und noch kleinere Doerfer nach Pushkar. Die Fahrt war zum Schluss endlich mal wieder kurvenreich und fordernd. Muede und zufrieden kamen wir so im heiligen Pushkar an. Das Dorf birgt einen der wenigen Tempeln, der dem Hauptgott Brahma gewidmet ist. Viele Pilger kommen deshalb nach Pushkar und nehmen im heiligen See in der Mitte des Dorfs ein Bad. Doch Pushkar ist auch das nordwestliche Zentrum der Rucksacktouristen und Haengengebliebenen, denn die Stimmung ist relaxt und die Landschaft mit ihren Huegeln und Seen gerade bei Sonnenuntergang magisch.
Etwas ausserhalb von Pushkar fanden wir ein super Hotel, umgeben von Rosengaerten und quartierten uns ein. Leider verhinderte die ganze Magie des Ortes Hannes K.O. nicht: Zuerst kamen die Schuettelfroeste. Eingepackt in Schlafsack und Decken schlotterte er wie in der Antarktis. Danach kamen die Fieberschuebe, zwischen 38 und 40 Grad Fieber und das fuer geschlagene 5 Tage! Der Schweiss traenkte unzaehlige T-Shirts und Decken. Der Arme verlor Appetit und mit jedem Tag Fleisch vom Knochen. Der Arzt verordnete ihm Antibiotika, Schmerztabletten und noch etwa 3 weitere, uns unbekannte Medikamente. Doch das Fieber blieb noch zwei weitere Tage und dazu kamen Halluzinationen der Medikamente. Manchmal machten Hannes Saetze keinen Sinn mehr... Als er nach einer Woche aus dem Krankenlager gekrochen kam, sah er aus wie eine verweste, duerre Bohne. Wir wissen bis heute nicht, was der Grund der Krankheit ist. Mais bon, hauptsache der Mann steht wieder auf den Beinen! Insgesamt blieben wir deshalb 10 Tage in Pushkar und Dario machte einige Ausfluege in die Nahe Wueste und zu seinen Verwandten nach Jaipur. Der Zufall wollte es, dass beide Tanten, Cousin und Onkel in Indien Ferien machten und es so zu einem Spontanbesuch kam. Vielen Dank meiner Family, hat Spass gemacht mit euch, mal wieder Schoch-maessig zu rocken!
Zurueck im Hotel in Pushkar hatte es ploetzlich viele Motoristen, denn in Indien ist es DER Renner, sich eine alte Royal Enfield zu kaufen. Die Royal Enfield ist ein einzylindriges Motorrad, das ausschliesslich in Indien produziert wird. Seit 50 Jahren wurde das Design nicht einmal geaendert. Die Enfield ist ein Bijou und der Motor macht einen Krach, dass einem die Ohren wackeln. Viele Deutsche und Israelis fliegen nach Indien und kaufen sich in Goa so eine Enfield. Danach fahren sie 6 Monate durch Indien und verkaufen sie am Schluss wieder. In unserem Hotel standen vier solche Maschinen. Doch die Motorradromantik hat ihre Kehrseite: eine Enfield ist etwa so zuverlaessig wie die indische Muellabfuhr. Ueberall bleiben sie stehen, gehen kaputt oder springen nicht an. Natuerlich sind wir Yamahisten neidisch wegen des Designs und des Sounds, aber dennoch sind wir auch ganz froh, nicht staendig wegen den Motorraedern unsere Nerven zu verlieren.... aber zum Zuschauen, Zuhoeren und Lachen sind die Royal Enfields unbezahlbar.
Unterdessen sind wir in Mumbai angekommen, haben Ersatzteile fuer unsere Motorraeder besorgt und fahren zusammen mit zwei Amerikanern und ihren Royal Enfields nach Goa. Geplant ist eine Woche Strand und Fete unter Palmen, danach ins Landesinnere nach Hampi und in die hoch gelegenen Hill Stations des Suedens. Nachdem wir uns 3 Monate ueber die Kaelte beschwert haben, wuenschen wir uns bereits wieder kuehlere Gegenden. Hier in Mumbai ist es konstant dreissig Grad plus und die Nacht bringt keine grosse Erfrischung...
Ein genauer Abriss unser Mumbai- und Goaerlebnisse folgt im naechsten Blogeintrag. Wir umarmen euch ganz herzlich.
...und sie rollen und rollen und rollen im Fahrtwind der Sonne entgegen...
Hannes & Dario